Der Dunkelhaarige atmete für einen Moment tief durch, als sie nach wie vor dem Grund seiner Worte nachging. Sie hatte noch nie etwas einfach so hinnehmen können. Aber er war ja nicht ansatzweise besser, was das anging, deshalb wollte er sich mal nicht beschweren - ein Recht dazu lag ihm eh nicht vor.
Sie kam ihm etwas entgegen und schilderte ihre Ansichten dazu, dass er wohl doch mehr gute Eigenschaften als schlechte besaß. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen, es war schön das mal zu hören, aber diese Auflistungen gingen alle mit seinem Job hier innerhalb des Gefängnisses einher. Der Schlafmangel, der Schutz für die Gruppe, all das wäre nicht so, wenn er sich als Einzelkämpfer durch die Welt schlagen würde. Und manchmal war es genau das, wonach er sich sehnte. Für nichts und niemanden Verantwortung übernehmen - denn mit dieser lag eine riesige Last auf seinen Schultern, die er an besonders schlechten Tagen einfach nicht tragen wollte, schon gar nicht für Menschen, die ihm nichts bedeuteten. Und davon gab es doch einige. "Ich glaube du idealisierst mich da ein bisschen..." murmelte er also lediglich mit einem müden Lächeln und senkte seinen Blick, musterte mit springenden Augen vereinzelte, willkürliche Stellen auf seinem entblößten Oberkörper.
"Ich meine nur... aktuell ist alles gut. Aber ich bin ja gewiss auch nicht unschuldig, schon gar nicht super umgänglich." er dachte da an seine Bissigkeit, seine Impulsivität, die auch super schnell in Aggressivität umschlagen konnte. Nur weil er dazu aktuell keinen Grund hatte und das bereits länger nicht mehr vorgekommen war, hieß das nicht, dass er diese Eigenschaft komplett abgelegt hatte. Sie lauerte da noch immer tief in seinem Inneren, wartete nur darauf wieder hervorbrechen zu können. Und Nea selbst hatte nie einen seiner Ausraster miterlebt. Etwas das er nur unbewusst geschafft hatte, aber aktuell war er darum sehr froh. Es trübte nämlich ihr Bild von ihm. Er sprach es zwar nicht aus, aber vielleicht sollte die Blondine ihm nicht einfach so blind vertrauen - oder ihn zumindest nicht als perfekt erachten. Das ging mit größter Wahrscheinlichkeit noch nach hinten los.

Ihre plötzliche, ruckartige Bewegung versetzte ihm einen kurzen Schock. Erneut flammte der Gedanke in seinem Kopf auf, dass er womöglich was Falsches gesagt hatte. Hatte er auch, wie er feststellen sollte, aber auf andere Art und Weise, als ursprünglich angenommen. Er musterte sie dabei, wie sie völlig überzeugt und mit ernster Miene erst leicht trotzig die Arme vor der Brust verschränkte und dann mittels der Zählmethode per Finger Argumente aufzählte, weshalb sie ihn so sah, wie sie ihn eben sah. Was auch immer er daraus schließen konnte. Dass er ein unsensibel ehrlicher Typ war mit einem grottigen Humor und einem stockenden Helfersyndrom? Irgendwie sowas. Auch wenn das genau nicht die Charakterbeschreibung war, die er sich selber geben würde. "Nur manchmal lustig?" er hob eine Augenbraue an, ging mit Absicht auf den am wenigsten dramatischen Einwand von ihr ein - um die Diskussion möglichst gar nicht erst ausarten zu lassen, dafür war er einfach zu müde und er diskutierte nicht gerne mit der Collectorin.
Ein amüsiertes Zucken seiner Mundwinkel war zu vernehmen, als sie ihrem Trotz nach ihrer Ansprache dann freien Lauf ließ. Das anschließende Schmollen ihrerseits mit der schon recht herausfordernden Frage ließ ihn die Lippen zu einem Grinsen verziehen, ehe er sogar leise lachen musste und den Blick abwandte. "Du bist echt süß, wenn du sauer bist." stellte er murmelnd fest, neigte seinen Kopf etwas zur Seite, sobald er sie wieder aus den grünen Augen heraus betrachtete. Dann rollte er letztlich mit genau diesen und nickte ergeben, hatte ja bereits vor ihrer Aussage festgestellt, dass er nicht diskutieren wollte und somit lieber direkt aufgab. "Hätte ich gewusst, dass es dich so aufregt, dann hätte ich gar nicht erst angefangen." versicherte der Hunter ihr mit einem Schmunzeln und legte seine Hand wieder beruhigend auf ihren Oberschenkel, völlig geistesgegenwärtig, um ihren aufgebrachten Geist zu besänftigen. Er hatte sie nicht gegen sich aufbringen wollen. Für diese Geste hatte er sein Gewicht auf einen einzigen Arm verlagern müssen, damit er den anderen entsprechend bewegen konnte, lag nun also praktisch auf der Seite und ihr zugewandt. Nun war er es aber, der zu ihr aufsah und nicht sie zu ihm. Eine ungewohnte Ansicht, definitiv, aber nicht weiter tragisch. Alles eine Frage der Perspektive.

Er dachte scharf nach, runzelte dabei leicht die Stirn, regte sich ansonsten aber nicht. Hatte er? War sie das jemals in seiner Anwesenheit gewesen? "Kannst du das überhaupt?" sprach er seine Gedanken laut aus und hob skeptisch eine Augenbraue an, wirkte damit etwas provokativer, als ursprünglich gewollt. Er hatte sie eigentlich nur necken wollen, konnte nur hoffen, dass sie es dennoch so auffasste, oder zumindest von selbst in diese Schublade steckte. "Also es ist nicht so, als würde ich dir nicht glauben..." fing er an zu erklären, unterbrach sich selbst durch ein leises Lachen. "... aber..." seine Schultern zog er nach diesem jähen Ende seines Satzes kurzzeitig in die Höhe. Es lag daran, dass er es sich nicht vorstellen konnte, wie dieses liebenswürdige Wesen in wirkliche Wut umschwenkte. Deshalb schenkte er dem wohl keinen oder nur geringen Glauben. Wenn auch einen sehr skeptischen.
Für einige Sekunden hielt sie seinem intensiven Blickkontakt stand, dann musste sie sich abschirmen und verlangte von ihm, dass er die junge Frau nicht so angucken sollte. "Ich mach doch gar nichts." empörte er sich halbherzig und mit einhergehender Belustigung darüber, schüttelte minimal sein Haupt. "Wahlweise kann ich mich natürlich auch einfach wieder hinlegen und die Augen zu machen." er endete hier, malte mit seinen Fingerspitzen nun vielsagende, kleinere Muster über ihren Oberschenkel. Er äußerte so indirekt einen kleinen Wunsch seinerseits und hatte spätestens jetzt tatsächlich einen Blick drauf, den man auch einem Welpen zuschreiben könnte. Entweder Nea verstand die Anspielung, oder eben nicht - beides war okay, deshalb hatte er es nicht ausgesprochen, damit sie sich nicht dazu gezwungen fühlte. Er konnte ja auch irgendwie gar nichts dafür - sie hatte mit ihren sanften Streichgesten etwas in ihm ausgelöst, das super angenehm war. Und er wollte gerne weg von dieser kleinen Auseinandersetzung und bestenfalls wieder zurück zu diesen idyllischen Momenten von vor wenigen Minuten.

Es schien so, als würde sie von dem Thema ablassen, was ihn ungemein beruhigte. Er wollte nicht weiter darauf eingehen, letzten Endes strapazierte es nämlich nur unnötig seine und ihre Nerven. Etwas das nicht sein musste, wenn man ihn fragte. Sie konnte auch einfach still und heimlich die Gesellschaft des jeweils anderen genießen - zumindest tat er das enorm.
Die Blondine schien soweit besänftigt, dass sie sich wieder in die Waagerechte brachte. Die Bewegung ihres Beines ließ er zu, nahm sogar kurz die Hand von ihrem Knie und wartete, bis sie bequem lag, ehe er seine Finger wieder auf ihrem Oberschenkel platzierte und mit seinem Daumen sanft auf ihrer Haut hin und her strich. Dabei hielt er ihrem Blickkontakt stand, stützte lediglich seinen Kopf auf seinen stützenden Arm und schenkte ihr dann ein Lächeln, sobald ihre Finger wieder seinen Brustkorb berührten. Dann erst schüttelte er den Kopf. "Ich bin unschuldig." erklärte er mit gesenkter Stimme und hob letztlich seine Hand von ihrem Bein zu ihrem Kopf und strich dort eine der blonden Haarsträhnen hinter ihr Ohr. "Du machst das einfach mit mir..." bemerkte er geistesgegenwärtig, während er seinen Fingern dabei zusah, wie sie eine behutsame Linie an ihrem Kiefer zogen und letztlich zu ihrer Wange wanderten. Erst dann musterte er wieder ihre blauen Augen. Er war sich nicht sicher, ob ihre Hand nah genug an seinem Herzen lag, um seinen kräftigen Puls zu spüren, der wohl gerade etwas schneller wurde.

Der junge Mann verlor sich in ihren blauen Iriden, schaffte es jetzt nicht mehr sich aus eigener Kraft von diesen zu lösen. Sie luden aber auch einfach dazu ein, sich darin zu verlieren, strahlten eine beinahe schon hypnotisierende Ruhe und Gelassenheit aus. Und zu guter Letzt war er sich sicher noch nie so schöne Augen gesehen zu haben. Das wurde ihm nicht jetzt zum ersten Mal bewusst, er hatte das schon vorher festgestellt, aber es kam ihm genau in diesen Sekunden wieder in den Sinn.
Die Worte von ihr ließen ihn die Luft anhalten. Er konnte nicht einordnen, was er bei ihr auslöste, aber wenn es nur ähnlich dem war, was er empfand, dann... Seine Mundwinkel hoben sich zu einem flüchtigen Lächeln an, er suchte in seinem Kopf nach Worten, passend zu der aktuellen Situation, aber er kam nicht dazu. Sie schien ihn aktuell geradezu magisch anzuziehen, weshalb es ihn nicht weiter verwunderte, dass sein Verstand die Kontrolle abgab und seinem Bauchgefühl das Handeln überließ - etwas, das nur sehr selten vorkam. Aiden strich noch ein weiteres Mal mit seinem Daumen über die Wange von Nea, ehe er dem Bedürfnis nicht mehr Stand halten konnte. Dem Bedürfnis ihr emotional noch näher zu sein, als es eh schon der Fall war. Aiden vergrub seine Finger behutsam in ihren blonden Haaren, beugte sich nach vorne und vereinte letztlich seine Lippen mit ihren.
Sein Herz schien einen Schlag auszusetzen und explosionsartig breitete sich eine wohlige Wärme in jeder seiner Körperzellen aus. Nach dem fehlenden Pulsschlag schien eben jener den Aussetzer wieder gut machen zu wollen und pumpte mit höherer Geschwindigkeit das Blut durch seine Adern und verbreitete erfolgreich Serotonin unter seiner Haut, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Er wusste allerdings nicht, ob ihm davon für den Bruchteil einer Sekunde schwindelig wurde, oder von den aufkommenden Gefühlen, die ihn in ihrer Masse und Intensität zu übermannen schienen. Es fühlte sich unwahrscheinlich richtig an, weshalb er keine Gedanken an eventuelle Konsequenzen oder Reaktionen verschwendete.

Er hatte natürlich auf eine Reaktion von ihr gehofft, eine die ihm besagte, dass er gerade keinen Fehler machte und das wirklich sehr gute Verhältnis ihrer Freundschaft von jetzt auf gleich zerstörte. Wahrscheinlich die größte Angst, die ihn hierbei ereilen konnte, aber sie war zu geringfügig, als dass sie gegen die starken Glücksgefühle in seinen Venen hätte ankommen können. Und Nea merzte sie auch prompt komplett aus, indem ihre Hand über seinen Brustkorb in die Höhe wanderte und in seinem Nacken Platz fand. Er musste in den Kuss hinein schmunzeln, fühlte sich so aber definitiv in seiner Sache verstärkt, weshalb er sich nur eine Haaresbreite von ihr löste, seinen Kopf in die entgegengesetzte Richtung neigte und den Abstand zwischen seinen und ihren Lippen wieder überbrückte. Erneut stieg dieses warme Empfinden in seinem Brustkorb auf.
Aufgrund der Tatsache, dass er aus ihm unerfindlichen Gründen am liebsten nie wieder damit aufhören wollte, erweiterte er diesen Kuss immer, in der Hoffnung diesen Moment bis in die Unendlichkeit verlängern zu können. Das Gefühl ihrer Lippen war wie eine Sucht, bereits jetzt nach dieser kurzen Zeit. Er spürte Empfindungen, die er vorher noch nie so gespürt, geschweige denn überhaupt wahrgenommen hatte. Nur jetzt lagen sie ihm klar vor Augen. Ja, man konnte sagen, dass Aiden diesen Augenblick tief in seinem Inneren zelebrierte, auch wenn das vielsagende Funkeln seiner Augen fehlte, weil er die Lider geschlossen hielt. Seine anderen Sinne arbeiteten scharf weiter, er hörte ihren ruhigen Atem, spürte über ihren Daumen ihren Puls an seinem Hals und spürte die Sanftheit ihrer Lippen, ihre Haut auf seiner und vor allem ihre Wärme.

Sobald sie sich von ihm löste - was erst nach beträchtlicher Zeit geschah, er hatte den Überblick über die Gesamtheit der vergangenen Sekunden verloren - öffnete er seine Augen wieder, nagte unterdessen an seiner Unterlippe, während er mit den grünen Iriden ihre entspannten Gesichtszüge musterte. Er konnte nur erahnen, was in ihr vorging, hoffte allerdings unbewusst ein wenig darauf, dass es ihr ähnlich erging wie ihm. Aiden war zwar einer der Menschen, die wirklich immer ziemlich verkopft waren, aber auch er hatte ein Händchen dafür den Augenblick zu genießen und allerlei Kummer und Zweifel nach hinten zu schieben. So war es hier. Er wollte nicht wissen, was morgen eventuell sein würde. Wie sie sich fortan zueinander verhalten würden, ob er nicht gerade irgendwas langfristig Schlechtes losgetreten hatte, indem er seinem Drang nachgegeben hatte. Es war ihm egal. Er fand es aktuell sehr richtig und der Rest war unwichtig.
Seine Stirn ruhte an ihrer, als sie ihre Lider ebenfalls aufschlug und ihm ermöglichte das strahlende Blau darin zu bewundern. Parallel zu ihren in die Höhe wandernden Mundwinkeln, verzogen sich auch seine Lippen zu einem Lächeln, hinter dem auch eine gewisse Portion Erleichterung steckte. Das war ein wahrlich gutes Zeichen. Ein noch viel besseres war es allerdings, als sie den Kuss wieder aufnahm. Aiden zog seine Finger aus ihrem blonden Haar und strich mit seinem Daumen über ihre Wange, während er diesen langsam erwiderte. Sein Puls schlug noch immer beständig und wesentlich schneller als für ihn üblich gegen die Innenseite seines Brustkorbes. Ein wirklich ungewohntes Hoch seiner Gefühle, weshalb er sich nach einigen Augenblicken wieder von ihr löste. Er drehte sich wieder auf den Rücken, schob seine Hand zurück unter seinen Kopf, ohne dabei auch nur für den Hauch einer Sekunde den Blick von ihr zu nehmen. Er hatte diese Wendung der Ereignisse nicht vorhergesehen, war jetzt im Nachhinein womöglich sogar etwas überrascht darüber. Aber er bereute es nicht - ein ganz wichtiger Fakt - weshalb sein linker Mundwinkel auch in die Höhe zuckte.